
Mörderische
Dämme
Misereor unterstützte Teile der Recherche.
-Brasilien brüstet sich seiner „sauberen Energie“ aus Wasserkraft-
für Amazonien ist sie ein Todesurteil
von Sandra Weiss
Flavia Nascimento hat seit sechs Jahren keine ruhige Minute mehr. Einmal sind sie in ihre Wohnung in Jaci-Parana rund 100 Kilometer ausserhalb der brasilianischen Amazonasstadt Porto Velho eingebrochen, haben alles durchwühlt und demonstrativ ein Messer auf ihr Bett gelegt. Zweimal versuchte ein Auto sie zu überfahren, als sie mit dem Motorrad auf dem Heimweg von der Arbeit war. Der Schlüssel zum Labor im Krankenhaus, in dem sie oft Nachtschicht schiebt, wurde gestohlen, die Überwachungskamera manipuliert. „Ich habe alles angezeigt, passiert ist nichts“, erzählt sie. Lange hat es gedauert, bis sie zu diesem Gespräch bereit war, mehrere Menschenrechtler fungierten als Bürgen. Sie ist misstrauisch geworden in all den Jahren.
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„Ich habe alles angezeigt, passiert ist nichts“


© Florian Kopp
Der Grund für die Verfolgung ist ihr Widerstand gegen die 2013 gebauten Staudämme am Madeira-Fluss im Bundesstaat Rondonia. Die 46jährige ist gebildet, kann gut reden und hat einen starken Charakter. Eine Führungsfigur.

Viele der 5000 Einwohner von Jaci-Parana waren gegen die beiden Staudämme Santo Antonio und Samuel, die ein staatlich-privates Konsortium baute. Teilhaber waren unter anderem die französische Engie, der in Korruptionsskandale verwickelte brasilianische Baukonzern Odebrecht und mehrere öffentliche brasilianische Stromverteiler. Finanziert wurde das Projekt aus Geldern der Weltbank und der brasilianischen Entwicklungsbank.
Die Dämme waren Teil des im Jahr 2000 von mehreren Amazonas-Anrainerstaaten und der Weltbank entworfenen Planes zur wirtschaftlichen Erschliessung Südamerikas (IRSA). „Die Staudämme am Madeira waren das erste Megaprojekt im Amazonasbecken seit dem Ende der Militärdiktatur in den 80er Jahren“, sagt Joao Rodrigues von der Bewegung der Staudammopfer (MAB). Sie hatten deshalb Symbolcharakter und setzten den Standard für weitere Infrastrukturprojekte am Amazonas wie den umstrittenen Megastaudamm Belo Monte. Es ist ein Public Private Partnership, eine von der Weltbank entworfene staatlich-private Partnerschaft. Ein Modell, das unter staatlicher Führung Umweltauflagen, Transparenz und Menschenrechte mit Füssen tritt – im Namen des Fortschritts und des Profits.
„Nicht einmal vom Strom, der hier erzeugt wird, haben die Anwohner etwas.“

Zusammen mit anderen Aktivisten organisierte Nascimento Demonstrationen, die von der Polizei mit Gummigeschossen, Schlagstöcken und Tränengas niedergeschlagen wurden. Sie reichte Petitionen ein, zog vor Gericht, gab Interviews. Sie denunzierte die schlampigen Umweltgutachten, die fehlende Partizipation der Bevölkerung, das Verschwinden der Gelder für angebliche Kompensationszahlungen an die Betroffenen.

Immer und immer wieder archivierten lokale Richter die Prozesse oder wiesen die Petitionen „im Interesse der Allgemeinheit“ ab. Aktivisten wurden unter Zuhilfenahme der noch aus der Diktatur stammenden Staatssicherheitsgesetze kriminalisiert und eingesperrt.
Zwangsumsiedelungen haben Gemeinschaften zerrissen.
Staudämme, so das Argument der Richter, seien nötig für das Gemeinwohl aller Brasilianer. Darüber kann Nascimento nur lachen: „Nicht einmal vom Strom, der hier erzeugt wird, haben die Anwohner etwas.“ Die Bewohner von Rondonia zahlen laut Rodrigues die höchsten Strompreise in ganz Brasilien - 151 Euro pro MW, während es für die Industrie Schnäppchenpreise von umgerechnet 16 Euro pro MW gibt. Das hat Logik: Laut Ausschreibung müssen die Staudammbetreiber der Industrie ein bestimmtes Kontingent Strom zu einem kostendeckenden Minimalpreis verkaufen. Alles andere wird auf dem freien Markt gehandelt und erzielt dort bis zu sechsmal mehr.

"Einmal gebaut sind Staudämme ein Bombengeschäft. Das Wasser gibt es gratis, der Personalbedarf ist gering, und die steuerlichen Abgaben sind minimal, weniger als ein Prozent vom Umsatz“, sagt Rodrigues. Ein Selbstläufer. Vor allem wenn der Bau mit staatlichen und internationalen Krediten billig finanziert wurde. Das Leben von Nascimiento und mehreren tausend Anrainern des Madeira-Flusses haben sie aber zerstört. Zwangsumsiedelungen haben Gemeinschaften zerrissen, die Ortschaft Jaci-Parana wuchs während der Bauzeit der Staudämme von 5000 auf 20.000 Einwohner.
„Am Wochenende konnte man nicht mehr auf die Strasse. Das hier war ein einziges Bordell, Alkohol und Drogen wurden zum Problem“, erzählt Nascimento. Sie liess ihre halbwüchsigen Kinder aus Angst vor Übergriffen nicht mehr aus dem Haus. Die Zahl der Morde und Vergewaltigungen nahm zu. Der Grundwasserspiegel stieg und wurde kontaminiert. Trinkwasser müssen die Gemeinden nun kaufen.
Als die Staudämme fertig waren, verschwanden die Arbeitsplätze, und Jaci-Parana fiel in eine tiefe Krise. Die Fischer verloren ihre Lebensgrundlage, weil durch die Sedimentierung aufgrund der verringerten Fliessgeschwindigkeit durch die Staudämme die Fische ausblieben.
